Kleine Betriebe sind gegenüber KI nicht aufgeschlossen, weil Kapazitäten und Wissen fehlen

Das Potenzial für optimierte Prozesse oder die Entwicklung neuer Produkte und Services mit Künstlicher Intelligenz (KI) ist längst bekannt. Maximilian Stein, Co-Founder von mmmint.ai, Inhaber eines Kfz-Betriebes und Vorstandsmitglied des Kraftfahrzeugtechnikerhandwerks IDK Niedersachsen-Mitte und Osnabrück, verrät im Interview, wie es um die Akzeptanz von KI in der Branche steht.

Von Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.

Autowerkstatt 4.0: Herr Stein, warum brauchen Werkstätten KI?
Maximilian Stein: Weil Fahrzeugdiagnosen, Unfallschäden und Wartungen immer komplexer geworden sind und der wirtschaftliche Druck enorm gestiegen ist, fühlen sich immer mehr freie Werkstätten überfordert. Insbesondere da eine klassische Diagnose, wie sie noch vor zehn bis fünfzehn Jahren erfolgte, bei heutigen Unfallschäden nicht mehr hilft.  Autos verwenden schließlich immer mehr Assistenzsysteme und vernetzte Bauteile.

Um mit der Komplexität umgehen zu können, ist deutlich größeres Vor- und Fachwissen der Werkstattmitarbeiter erforderlich. Das Dilemma: Zusätzlich zu den gestiegenen Anforderungen an Werkstätten und deren Mitarbeiter, ist das Fachwissen derjenigen, die diese Arbeiten durchführen können und wollen, immer geringer geworden. Ich bin überzeugt davon, dass technische Systeme helfen, die Anforderungen in Zukunft zu bewältigen und die Komplexität vereinfachen zu können…

… wie beispielsweise bei der E-Mobilität?
Stein: Es müssen nicht mal konkret E-Autos sein. Auch ein Frontschaden mit Kabelbrüchen in der Stoßstange beim neuesten Modell eines Audi A6 erfordert eine Fülle an Informationen, die für die Reparatur benötigt werden. KI kann hier den Job erleichtern, indem sie Informationen strukturiert und einfacher verfügbar macht.

Die Tester-Software der jeweiligen Hersteller anzuschaffen, rentiert sich für viele nicht. Außerdem ist das Know-how an Zertifizierung in kleineren Werkstätten gar nicht vorhanden. Zahlen der Konsolidierung des Marktes belegen das.

Wie aufgeschlossen sind die rund 600 Mitgliedsbetriebe, die Sie in der größten Kfz-Innung Norddeutschlands vertreten, gegenüber innovativen Technologien wie KI?
Stein: Hier gehen die Meinungen sicherlich auseinander. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in der Innung von kleinen „Drei-Mann-Schrauberbuden“ bis zu großen Autohausketten mit mehr als 1.000 Mitarbeitern vertreten. Einem kleinen Unternehmen, bei dem der Chef noch mitschraubt, der jedoch der Einzige ist, der sich mit zukunftsweisenden Themen auseinandersetzt, fehlen einfach die personellen und finanziellen Kapazitäten.

Warum die kleinen Betriebe gegenüber KI noch nicht aufgeschlossen sind, hängt mit einer Unwissenheit zusammen. Auch werden die Betriebe meist noch von Kfz-Meistern geführt, die in IT-Fragen unbeleckt sind.

Sie fordern mehr Aufklärungsarbeit?
Stein: Ja, ich sehe hier Nachholbedarf. Ich gebe zu Bedenken, dass KI die zuvor angesprochenen Herausforderungen nicht problemlos lösen wird. Das hat folgende Gründe: Zum einen ersetzt eine KI-gestützte Diagnose nicht die Fachkräfte. Zum anderen ist die Akzeptanz von KI beim Mittelstand noch nicht sehr hoch. Das ist sehr stark dem bisher fehlenden Interesse und Wissen geschuldet.

Das Buzzword „KI“ braucht man im Ausbildungsrahmenplan eines Mechatronikers oder Karosseriebauers nicht zu suchen. Wenn jemand nicht weiß, wie KI und neuronale Netze oder maschinelles Lernen funktionieren, ist er erstmal der Technologie gegenüber abgeneigt. Es verwundert daher nicht, dass sich nur jedes dritte Unternehmen im Mittelstand mit KI beschäftigt oder damit arbeitet.

Hat es KI in Werkstätten besonders schwer?
Stein: Bei Kfz-Werkstätten geht es immer noch um ein Handwerk. Es herrscht dort eine größere Verschlossenheit gegenüber derartigen Technologien vor als in der Großindustrie, in der Maschinenbauer und Ingenieure tätig sind, die einen anderen Bildungsgrad genießen und eine andere Herangehensweise in ihrem Job praktizieren.

Wer einen Handwerker von einem neuen Computertool überzeugen will, das mit KI Probleme löst, der stößt oft auf die Befürchtung, dass jemandem etwas weggenommen werden soll.

Lassen sich mit Blick auf die Akzeptanz von KI innerhalb der Branche und der verschiedenen Geschäftsfelder Unterschiede erkennen?
Stein: Je größer der Betrieb, desto offener ist er für solche Themen. Betriebe mit vier bis zehn Mitarbeitern haben gar nicht die Kapazität, sich mit zukunftsweisenden Themen auseinanderzusetzen. Bei größeren Kfz-Betrieben gibt es hierfür deutlich mehr Personal und gerade im Kontext von IT sicherlich auch mehr Kompetenz. Man darf nicht vergessen, dass in vielen Kfz-Betrieben der Chef im operativen Tagesgeschäft eingebunden ist und bei den Reparaturen mit anpackt.

Sicherlich spielt es auch eine Rolle, um welchen Stakeholder es sich handelt?
Stein: Die Interessen bei Software-Lieferanten, IT-Dienstleistern, Werkstätten und Herstellern sind völlig unterschiedlich. Der Automobilhersteller möchte Effizienz und Ressourcen schonen, wenn er Fahrzeuge auf den Markt bringt. Es geht also um die Fertigung. Das Software-Unternehmen legt den Schwerpunkt auf Datensätze, um seinen Kunden entsprechende Lösungen und Geschäftsmodelle anbieten zu können. Der Mechatroniker kommt erst am Ende der Wertschöpfungskette und muss insofern ganz anders abgeholt werden.

Welche konkrete KI-Anwendung fällt Ihnen ein, die einen Werkstattbetreiber überzeugt?
Stein: Künstliche Intelligenz kann gerade mit Blick auf die Akzeptanz in Betrieben wiederkehrende Routineaufgaben übernehmen. Nehmen wir beispielsweise einen Fahrzeugscheinscanner per Bilderkennung: Er erspart das Abtippen der 17-stelligen Fahrgestellnummer aus dem Fahrzeugschein. Bedenkt man, dass dieser Vorgang für nahezu jeden Prozess eines Kfz-Betriebes erforderlich ist, besteht ein enormes Potenzial. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels lassen sich Kapazitäten schonen und sinnvoller einsetzen.

Niemand hat Lust, in seinem Job monotone und immer wiederkehrende Arbeiten auszuführen. Fachkräfte, die ohnehin rar sind, sollten insofern dort entlastet werden, wo es technologisch sinnvoll erscheint…

… wie etwa bei der Automatisierung von Prozessen und der Verbesserung der Qualität von Produkten und Services mit KI?
Stein: Richtig. Die Prozesseffizienz und Skalierung finde ich ebenso wichtig zu erwähnen. Viele Betriebe tauschen in ihrem klassischen Geschäftsmodell Arbeitszeit gegen Geld. Das skaliert nicht und ermöglicht kein Wachstum über die Personalkapazität hinaus. Schaffe ich es durch technologische Werkzeuge wie KI, einen höheren Durchsatz bei gleichem Ressourcenstamm zu generieren, hilft das, den Betrieben wirtschaftlicher zu arbeiten.

Welche positive Auswirkung könnte KI auf das Berufsbild des Mechatronikers haben?
Stein: Unsere Werkstatt ist ein Tesla Body Shop. Wir reparieren also zum großen Teil E-Autos. Der Kfz-Mechatroniker arbeitet bei uns mehr mit dem Laptop und weniger mit dem Schraubendreher. Die Art und körperliche Belastung der Arbeit ist daher eine ganz andere als früher. Hinsichtlich des Fachkräftemangels hat KI das Potenzial, ein ganzes Berufsbild zu verändern. Mit ölverschmierten Händen körperlich harte Arbeit zu verrichten, wird auf den Mechatroniker von morgen eher weniger zutreffen und so bei Jugendlichen für ein besseres Image sorgen.

Welche digitalen Geschäftsmodelle sehen Sie im Zusammenhang mit KI?
Stein: Cloudbasierte KI-as-a-Service-Lösungen werden hier der richtige Weg sein. Kleinere Betriebe haben weder die nötige Hardware und Infrastruktur noch die eigene Datenbasis und Kompetenz, um Modelle trainieren zu können.

Was kann Gaia-X für die Akzeptanz von KI leisten?
Ich betrachte Gaia-X als offenes und transparentes Datenökosystem, das beim Mittelstand für Vertrauen in Datenflüsse, -speicherung und Datensouveränität sorgt. Der vertrauenswürdige Austausch hilft sicherlich Zweifel auszuräumen, die bei KMU oft entstehen. Wo liegen meine Daten, was passiert mit meinen Daten, wie partizipiere ich daran, meine Daten bereitzustellen, sind die zentralen Fragen. Normen und Strukturen, wie sie durch Gaia-X vorgegeben werden, helfen Mittelständler zu überzeugen und letztlich die Akzeptanz von KI zu steigern.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Über Ralf Schädel
Ralf Schädel ist IT-Redakteur, Referent und Projektmanager beim eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. im Bereich Cloudservices und Gaia-X. Seit mehr als 20 Jahren publiziert und spricht der gelernte Verlagsredakteur im redaktionellen Kommunikationsumfeld von Tageszeitungen wie der Bonner Rundschau und dem Kölner Stadtanzeiger, Verlagen wie dem Medienhaus, in dem er als Redakteur inhaltlich das Fachmagazin IT-Mittelstand verantwortete und für dessen Schwesterpublikation IT-Director er geschrieben hat. Auch bei Agenturen wie Kernpunkt, der Digitalagentur i22 und PR Partner (heute Palmer Hargreaves) sowie in der Unternehmenskommunikation bei der Deutschen Telekom betreute er redaktionelle Themen. Ralf Schädel steuert beim eco insbesondere die Kommunikation der Projekte Autowerkstatt 4.0 und Service-Meister. Sein berufliches Profil: LinkedIn, Xing.